0126-1a AUCH EIN ABGANG

die gnädige frau sprachgestört wohnt sie
seit einem unfaßbaren familiären schreck
da hinterm herrschaftlichen gitter
im herrschaftlichen schloß
Neuschönbrunn genannt von neidischen verwandten
gleich gegenüber den argwöhnisch vergitterten
fenstern des alten herrn der sie höchstens einmal
am tag zum luftschöpfen öffnet.
über die gnädige frau
laß ich überhaupt nix kommen,
sagt die wirtschafterin, erst gestern abend
rausgeschmissen von der heut woanders
weilenden gnädigen in der frauenrunde der övp
vielleicht jedenfalls viel wichtigeres tuend
als gold & silber zu hüten
die ungeheuer sensibel
von überall her zusammengetragenen möbel
die amerikaner in der garage
oder die kostbaren weine der klosterneuburger chorherrn.
im stiftskeller sitzend beim vierten viertel
denkt die auf straße gesetzte
nach der zehnten zigarette an die verrückte verwandte
der gnädigen die an allem schuld ist:
die hat sich da eingeschlichen
um sie da rauszuekeln
nach drei wochen probezeit
um in abwesenheit der gnädigen ihrer schwägerin
den prunk den wert und das originelle zusammenpassen
der gegenstände zu genießen als wärens
die eigenen und ein bisserl tischerlrücken
zu spielen unter der ungeheuerlichen vorstellung
das sei alles unverrückbar
ihr eigentum mit eigenem schweiß und eigener arbeit
sinnvoll und planmäßig
zusammengerafft hier angehäuft
von ihr als wär ihr verpfuschtes leben
nur verpfuscht durch den zufall der zeitläufte
durch die unselige verkettung
mit ihrer mutter durch ihre gutheit ihre ekelhafte
mischung aus gutheit und dummheit
naivität und raffinesse besonders dann
wenns um den erwerb alter sachen geht
aus dem volksladen zum beispiel
nicht kostbare alte sondern nur
alte gebrauchte von menschen zur hand
genommen mit den spuren
des zurhandnehmens des lebens mit ihnen.
die gnädige war unvergeßlich,
sagt die wirtschafterin, in ihrem weißen nerz
auf der teppichbelegten stufe stehend
als sie der schlag traf
sozusagen zur erinnerung ihrer selbst
erstarrte – ich laß nix über sie kommen
auch jetzt nicht hier auf der straße
mit meinen büchern französischkenntnissen
beschwipst und wie immer häßlich
ohne einem ordentlichen mannsbild
in greifnähe nur ein schwerhöriger diener
mit dem sichs nicht einmal durch den austausch von zigaretten
flirten läßt zur entzündung des herrschaftlichen hauses
etwa: wenn man böses dächte
was die aber nicht tut wie sie sagt.
aber alles brennbare würd sie jetzt
liebend gern auf diese verrückte stürzen
ihr die erkenntnis über sie in die haut
brennen damits ihr einmal aufgeht
unter die haut geht was sie eigentlich ist nämlich
ein waschlappen ein nichtsnutziges hunderl
das sich zwanghaft nützlich
machen muß unentbehrlich eine gezeichnete
wie ich, sagt die wirtschafterin,
die sich aber letzten endes noch schamloser
ausnutzen läßt und daher noch schamloser
verbündet mit jenen die sie und die
vor ihnen schamlos ausraubten.
den lebenserwerb von 10 jahren in 10 pappschachteln
in einem taxi läßt sie das alles und sich
zum südbahnhof transportieren
in erwartung einer lauwarmen nacht
im warteraum.

(1974)

(Veröffentlicht in: DIMENSION, Contemporary Arts and Letters, Vol. VIII, No. 1 & 2, 1975)

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